Freundschaft bei Aristoteles

Einleitung:
Freundschaft scheint für Aristoteles ein relativ zentrales Thema zu sein; er behandelt dieses Thema nämlich hauptsächlich in gleich zwei von insgesamt zehn Büchern in der Nikomachischen Ethik, nämlich in Buch VIII und in Buch IX.
Vielleicht ist das Thema ‚Freundschaft‘ für Aristoteles ein so zentrales Thema, weil Glück und Tugend nach Aristoteles der Freunde bedürfen: Tugendhafte Handlungen bedürften gelegentlich der Freunde genauso wie sie manchmal des Geldes oder der politischen Macht bedürften (vgl. I 9).
Und das Glück bedürfe ebenfalls der Freunde. Denn man könne denjenigen nicht glücklich nennen, „der gänzlich schlechte Kinder oder Freunde hat oder gute, die gestorben sind“ (ebd.).

Ich wünsche dem Leser eine interessante und hoffentlich verständliche Lektüre!
Felix H.

Hauptteil:
Aristoteles unterscheidet drei Arten der Freundschaft: die Tugendfreundschaft, die Lustfreundschaft und die Nutzenfreundschaft. Viele Aussagen in der Nikomachischen Ethik beziehen sich auf eine der drei Arten von Freundschaft. Zwei Aussagen, die sich auf die Freundschaft allgemein zu beziehen scheinen, sollen jedoch vorweg erwähnt werden: Zum einen, dass Freunde im Glück und im Unglück gesucht würden. Denn die Unglücklichen würden nach einer „Hilfe“ (IX 11) suchen, während die Glücklichen jemanden bräuchten, „dem sie Gutes tun können“ (ebd.).
Zum anderen scheint Aristoteles ebenfalls über die Freundschaft allgemein zu sagen, dass ein allzu großer Abstand in Tugendhaftigkeit oder Wohlstand die Freundschaft beende (vgl. VIII 9).

Da Aristoteles – wie bereits erwähnt – drei Formen der Freundschaft unterscheidet, sollen diese Formen im Folgenden einzeln beschrieben werden.

Die Tugendfreundschaft
Die Tugendfreundschaft sei die Freundschaft zwischen zwei Tugendhaften (vgl. VIII 4). Die Tugendfreundschaft sei eine Freundschaft im engen bzw. eigentlichen Sinn (vgl. VIII 7). Denn sie sei nützlich, sie sei angenehm (vgl. VIII 4 und VIII 8) und sie biete – als einzige Form von Freundschaft – Schutz vor Verleumdung (vgl. VIII 5).
Um Tugendfreunde zu werden bedürfe es der Vertrautheit (vgl. VIII 4); Tugendfreundschaft entsteht also nicht schnell, sondern entwickelt sich. Wenn eine Tugendfreundschaft einmal entstanden sei, sei sie zeitlich sehr beständig (vgl. VIII 4 und VIII 8). Denn die Tugendfreundschaft bleibe bestehen, solange die Freunde gut seien; die Gutheit sei aber etwas Beständiges (vgl. VIII 4). Ein weiteres Merkmal der Tugendfreundschaft sei, dass es unter den Tugendfreunden keinen Streit gebe (vgl. VIII 15).
Da die Tugendfreundschaft ein hohes Maß an Vertrautheit voraussetze, sei die Tugendfreundschaft
selten anzutreffen (vgl. VIII 7).

Die Lustfreundschaft
Wenn der Umgang der Freunde untereinander ausschließlich angenehm sei, handele es sich um eine Lustfreundschaft (vgl. VIII 10). In der Lustfreundschaft gebe es kaum Vorwürfe (vgl. VIII 15). Auch verhielten sich die Freunde in einer Lustfreundschaft eher großzügig zueinander (vgl. VIII 7).
Die Lustfreundschaft scheint in der Zeit nicht so beständig zu sein wie die Tugendfreundschaft, denn die Freunde in der Lustfreundschaft blieben nur so lange Freunde, „wie sie einander Lust […] verschaffen“ (VIII 10).
Aristoteles betont mehrfach, dass die Lustfreundschaft vor allem unter jungen Menschen bestehe (vgl. VIII 3 und VIII 7). Auch in der Kindheit komme die Lustfreundschaft vor (vgl. VIII 5).
Die Lustfreundschaft könne sowohl unter tugendhaften, als auch unter weniger tugendhaften Menschen geschlossen werden (vgl. VIII 5).

Die Nutzenfreundschaft
Wenn der Umgang ausschließlich nützlich sei, handele es sich um eine Nutzenfreundschaft. Eine Nutzenfreundschaft entstehe häufig aus Gegensätzen: z. B., dass ein Armer und ein Reicher Nutzenfreunde seien oder ein Wissender und ein Unwissender (vgl. VIII 10). In der Nutzenfreundschaft scheinen die Nutzenfreunde genau zu rechnen; Aristoteles sagt, dass die Nutzenfreundschaft „etwas für Krämer“ (VIII 7) sei. Auch gebe es in der Nutzenfreundschaft oft Streit. „Denn da man des Nutzens wegen miteinander umgeht, verlangt man immer noch mehr“ (VIII 15). Wenn der eine Nutzenfreund dem anderen keinen Nutzen mehr verschaffe, ende die Nutzenfreundschaft (vgl. VIII 10).
Die Nutzenfreundschaft komme am meisten unter alten Menschen vor. Denn alte Menschen würden das Nützliche suchen (vgl. VIII 3).
Die Nutzenfreundschaft könne sowohl unter tugendhaften, als auch unter weniger tugendhaften Menschen geschlossen werden (vgl. VIII 5).

Schluss:
Aristoteles unterscheidet drei Arten von Freundschaft. Die Tugendfreundschaft sei nützlich und angenehm und biete Schutz vor Verleumdung. Die Tugendfreundschaft setze die Tugendhaftigkeit der Freunde voraus.
In der Lustfreundschaft empfänden die Freunde Lust am Umgang miteinander. Die Lustfreundschaft sei die Freundschaft der jungen Menschen. Die Nutzenfreundschaft sei für die Freunde ausschließlich nützlich; sie sei die Freundschaft der älteren Menschen und bestehe häufig aus Gegensätzlichen: z. B. einem Reichen und einem Armen oder einem Wissenden und einem Unwissenden.

Felix H.

Literatur:
Aristoteles: Nikomachische Ethik, übersetzt und herausgegeben von Ursula Wolf, Reinbek 52015.

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